George Steinmann
«Die Künste sind aufgefordert, ihr riesiges Potenzial zu nutzen»
Die UN-Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung ist ein Weltzukunftsplan. Sie ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft auf allen Ebenen – global, national, regional und subnational. Mein Verständnis von Nachhaltigkeit umfasst explizit auch die kulturelle Dimension. Der Begriff Nachhaltigkeit ist zunehmend abgewetzt und wird auf vielfältige Weise instrumentalisiert. Er geht zudem inhaltlich in eine falsche Richtung: Die Vision einer weltweiten sozial- und naturverträglichen Entwicklung darf keinesfalls nur auf technische Lösungen und Faktenwissen reduziert werden.
Wir brauchen dringend eine Wertediskussion, in die sich auch die Künste einbringen. Es geht um ein Engagement an der Schnittstelle zwischen dem Kunstfeld und den Lebenswelten. Die Kunst sollte stärker als bisher als wichtiges Werkzeug für die Zukunft begriffen werden. Deshalb engagiere ich mich seit 1992 für die kulturelle Ebene der Nachhaltigkeit. Zusätzlich zum gängigen Modell mit einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Säule braucht es eine Metaebene: Die Umsetzung der Agenda 2030 ist eine kulturelle Herausforderung!
Unsere komplexe und vielschichtige Zeit erfordert transdisziplinären, grenzüberschreitenden Dialog. Ich habe mich in diesem Bereich extrem exponiert und sogar meine Karriere als Künstler aufs Spiel gesetzt. Trotzdem ist es nach wie vor meine tiefe Überzeugung, dass ein Paradigmenwechsel hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft ohne die Wissensform Kunst nicht möglich ist.
Schauen wir exemplarisch die Klimaberichte der UNO an: tausende Seiten voller Grafiken, abstrakter Daten und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Aber diese Komplexität ist schwierig zu kommunizieren. Hier können Kunstschaffende einen wichtigen Beitrag leisten. Die grossen Krisen unserer Zeit benötigen kreative Menschen mit der Fähigkeit zur Kooperation, zur Partizipation und Empathie.
Dem Nachhaltigkeitsdiskurs fehlt es zudem an Spiritualität, es fehlt die Seele. Indigene Kulturen haben dieses Know-how schon lange. Sie haben einen holistischen Weltbezug. Wir dagegen, mit unserer materialistisch-mechanistischen Weltdeutung, jonglieren primär mit Facts und Figures. Mein grosser Wunsch ist deshalb, dass wir lernen, die beiden Weltanschauungen zu verbinden. Nachhaltigkeit in diesem Kontext ist eine Kultur der Besinnung, der Teilhabe und der Zuversicht.
Das Gespräch führten Urs Zehnder und Thorsten Kaletsch.