Bernhard Pulver
«Kunst ist eine Schule der Wahrnehmung»
Bereits als ich 12 Jahre alt war, engagierte ich mich in Umweltbewegungen – zum Beispiel an Demos gegen AKW. Ich bin Politiker der Grünen: Seit 45 Jahren ist Nachhaltige Entwicklung ein Grundthema meines Wirkens. Es ist spannend, wie sich das Thema in dieser Zeit verändert hat: Als ich Erziehungsdirektor war, haben wir die Berner Hochschulen dazu angehalten, Nachhaltigkeits-Themen in ihre Strategien einzubeziehen – rückblickend kann man sagen, dass wir damit im Kanton Bern Pioniere waren.
Nachhaltige Entwicklung betrachtet man am besten im Dreieck Umwelt, Wirtschaft und Soziales. Was mir wichtig ist: Es gibt fast immer Zielkonflikte zwischen diesen drei Bereichen. Gerade weil Nachhaltigkeit etwas Stabiles und Langfristiges sein soll, muss man diese Konflikte ernst nehmen und ganz genau hinschauen. Das mag etwas seltsam klingen, aber man kommt nicht weiter, wenn man ausschliesslich an die Umwelt denkt. Entwickelt man etwa eine neue Technologie für eine Solarzelle, ist es ebenso wichtig, sich zu fragen: Wie kann man in der Gesellschaft Akzeptanz dafür schaffen? Man muss die Leute mitnehmen: Hier sehe ich die Verbindung zur HKB.
Kunst hat für mich eine grosse gesellschaftliche Relevanz: Sie ist eine Hochschule der Wahrnehmung, wie das auch George Steinmann in einem Vortrag gesagt hat. Künstler*innen sind spezialisiert in Wahrnehmung – und genau diese Fertigkeit können sie uns lehren. Wir nehmen nicht feinfühlig genug wahr, wie es um die Welt steht. Wir rennen von der Arbeit zum Einkauf im Supermarkt und direkt nach Hause. Die Kunst lehrt uns, innezuhalten, zuzuschauen oder zuzuhören – das muss sie gar nicht absichtlich tun, das geschieht auch unbewusst. Kunst muss sich nicht inhaltlich mit Nachhaltigkeit befassen – dort sollte sie komplett frei sein.
In unserer digitaler werdenden Welt, in der die Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch ist, wird die Kreativität des Menschen immer wichtiger. Sie macht uns neben unseren Emotionen und den zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Deshalb wird auch die Relevanz von Fächern wie Psychologie, Theologie oder eben Kunst in Zukunft zunehmen.
Das Gespräch führten Urs Zehnder und Mia Hofmann.