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Zu Besuch im Kulturdorf Terra Vecchia
29.12.2022 Junge Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Bildungshintergründen werden jeweils im Sommer zu Kulturvermittler*innen des peripheren Raumes. In der Saison 2022 entstand ein Songbook.
Im Spültrog klappert das letzte schmutzige Geschirr, das Fenster steht offen und draussen ist es bereits dunkel. Leise mischt sich ins stetige Zirpen der Grillen eine Melodie.
Unten, auf einer gepflegten, terrassenartig angelegten Wiese, brennt ein grosses Lagerfeuer. Eine Gruppe von etwa zehn jungen Menschen singt ein mehrstimmiges, mazedonisches Volkslied. Die Pianistin und HKB-Studentin Simona Shurbevska hat das Lied «Македонско девојче» (übersetzt: Mazedonisches Mädchen) aus ihrem Heimatland im Laufe der Woche ihren Mitstudierenden beigebracht. Nach Terra Vecchia gereist sind sie alle, um an einer Projektwoche teilzunehmen, die das Unterrichtsmodul «Musik und Soziale Arbeit» eröffnet.
Terra Vecchia liegt abgelegen im Tessiner Tal Centovalli. Es gehört der Stiftung Terra Vecchia Villaggio, die Synergien zwischen sozialem Engagement, regionalen Bedürfnissen und kultureller Vielfalt schaffen will. Vor fünfzig Jahren war das verlassene Dorf noch eine grosse Ruine, wurde in den vergangenen Jahrzehnten aber aufwändig restauriert.
Seit knapp zwei Jahren findet hier das Projekt Kulturdorf Terra Vecchia statt. Geleitet wird es von Barbara Balba Weber, Expertin in künstlerischer Musikvermittlung und Leiterin des Schwerpunkts Music in Context an der HKB. Jeweils von Mai bis Oktober werden junge Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Bildungshintergründen in Kombination mit ihrer eigenen Geschichte zu Kulturvermittler*innen – dies in verschiedenen Projekten, die über den Sommer parallel laufen. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Projekten und Gästen: Wenn möglich tragen sie mit einem Lied zum Songbook bei, das während dem Sommer entsteht.
Am Tag nachdem die zehn Studierenden abgereist sind, ist abends am Feuer ein melodiöser italienischer Chorus zu hören:
«Mi illumina, mi brucia, mi guida come una nave
Sotto il cielo della notte, lui mi farà ballare
Mi illumina, mi brucia, mi guida come una nave
Sotto il cielo della notte, quel giorno partirò»
Die Sopranistin Selina und der Tessiner Gitarrist Mattia präsentieren den Song «La nave di fuoco», den sie an diesem Nachmittag komponiert haben. Der Text dazu stammt von Autor Francesco Micieli und den «Storytellers» – eine Gruppe von geflüchteten Menschen aus Afghanistan, die alle im Tessin leben. Gemeinsam mit Micieli, der von Beginn weg Teil des Projekts ist, arbeiten sie hier jeweils an ihren persönlichen Erzählungen, sei es in Form von Texten, Bildern oder Film. Nachdem in der ersten Hälfte dieses Wochenendes die mitgebrachten Texte besprochen und weiterentwickelt wurden, ging es in der zweiten Hälfte darum, daraus kurze Filme zu machen. Parallel dazu setzt Miceli einzelne Passagen dieser Texte zu einem Songtext zusammen – der nun eben am Lagerfeuer präsentiert wird und dem die gesamte Gruppe, sichtlich bewegt, aufmerksam lauscht.
Durch die Zusammenarbeit von Residenzgästen, Kunststudierenden und jungen Geflüchteten sind übers Sommerhalbjahr 2022 in der verlassenen Bergwelt um Terra Vecchia wiederum viele neue Geschichten erzählt worden – die nun in verschiedenen Formaten gezeigt werden, insbesondere auf dem Youtube-Kanal (siehe Links). Aus allen Liedern, die geschrieben oder mit nach Terra Vecchia gebracht wurden, ist zudem das Songbook «lettera alla natura» entstanden. Es wird im Januar 2023 im Rahmen des HKB-Musikfestivals Playtime vorgestellt: