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Köpfe der Forschung: Yvonne Schmidt
02.10.2023 Wie begegnen sich Künste und Klimaforschung? Und wie reisen inklusive Tanz- und Theaterperformances? Darüber forscht die Theaterwissenschaftlerin Yvonne Schmidt in ihren zwei SNF-Projekten und gibt Einblicke.
Yvonne Schmidt studierte Theater-, Tanz- und vergleichende Literaturwissenschaften in Bern, Mainz und Paris. Anschliessend promovierte sie an der Universität Bern zum Thema der nicht-professionellen Darsteller*innen im Gegenwartstheater. Nach Stationen an der University of Illinois in Chicago, der ZHdK sowie der University of British Columbia in Vancouver kam Yvonne Schmidt 2019 an die HKB. Am Institut Praktiken und Theorien der Künste ist sie heute Professorin, koordiniert das Forschungsfeld Kunstvermittlung und leitet zwei SNF-Projekte.
Yvonne Schmidt, woher kommt deine grosse Faszination für die Tanz- und Theaterwelt?
Während meiner Gymi-Zeit spielte ich intensiv Theater. Wir hatten einen ambitionierten Deutschlehrer, der uns als «underdog» Schultheatergruppe aus der Provinz – der elsässisch-deutschen Grenzregion – an Theatertreffen und Festivals in Deutschland und Frankreich schickte. So wurden wir mehrfach zum Theatertreffen der Jugend im Rahmen der Berliner Festspiele eingeladen. In Berlin sah ich zum ersten Mal eine Vielfalt an Theaterproduktionen und nahm an Workshops mit internationalen Theaterschaffenden teil. Ich traf dort einige Jugendliche, die später Profis wurden, z. B. die Schauspielerin Nora Tschirner. Ich wollte Szenisches Schreiben oder (Kultur-)Journalismus studieren. Dann entdeckte ich die Theaterwissenschaft. Mit 18 zog ich des Studiums wegen nach Mainz, mit 21 nach Paris. Teilweise arbeitete ich nebenbei in drei Jobs parallel, übernahm Dramaturgie- und Regieassistenzen im Theater, war als freie Mitarbeiterin im Journalismus tätig sowie als Hilfsassistentin an der Uni. Schliesslich kam ein längerfristiges Fulltime-Jobangebot von einem Theater, das das grösste internationale Theaterfestival für Gegenwartsdramatik veranstaltete. Eineinhalb Jahre lebte ich sozusagen nur noch im Theater. Bis ich dann entschied, mein Studium doch noch abzuschliessen und für den Master nach Bern ging. Zurück an der Uni kam es mir zugute, dass ich die letzten Jahre so viel Theater gesehen hatte und all die aktuellen Produktionen in meine Masterthesis einbeziehen konnte. Was mich am Theater interessiert, ist das Lebendige und das Radikale. Wobei ich Theater weiter fasse und mich eher für das Performative interessiere.
Schon während deiner Ausbildung wolltest du Theorie und Praxis zusammenbringen. Hat dies zum inklusiven SNF-Projekt «Ästhetiken des Im/Mobilen: Wie Tanz- und Theaterperformances reisen» geführt?
Das Thema Reisen und Nachhaltigkeit beschäftigt mich schon länger, aber schlussendlich entstand die Projektidee in der Covid-19-Pandemie: Viele Festivals und Kulturinstitutionen waren plötzlich bereit, mit neuen Formaten zu experimentieren. Oft waren digitale Formate die einzige Möglichkeit für das Theater, weiter zu existieren. Das auawirleben-Festival in Bern, mit dem wir kooperieren, entwickelte z. B. eine Festivaledition «aua-in-a-box», bei der das Theater zu den Zuschauer*innen nach Hause kam. Gleichzeitig ärgerte mich aber bei vielen Formaten, dass das Thema der Zugänglichkeit nicht mitgedacht wurde. Bereits 2011 gründete ich in Osaka innerhalb der International Federation for Theatre Research (IFTR) das weltweit grösste Netzwerk für «Performance und Behinderung» und organisierte jährliche Gatherings mit Forscher*innen und Künstler*innen in Asien, Europa und Südamerika. Dabei mussten wir neue Arbeitsweisen finden, um global zusammenzuarbeiten, da das Reisen für viele Kolleg*innen aufgrund von Barrieren keine Option war. Deshalb haben viele behinderte Performer*innen schon lange vor Covid-19 fast ausschliesslich im digitalen Raum gearbeitet oder andere Strategien gefunden, ihre Arbeiten zu verbreiten. Dieses Erfahrungswissen mit den aktuellen Bedürfnissen der Kulturinstitutionen zusammenzubringen, erschien mir zwingend. Ziel des SNF-Projekts ist es, nachhaltigere Arbeitsweisen und neue Ästhetiken im Tanz-, Theater- und Performancebereich anzuregen. Unser Projekt, in dem ich mit Nina Mühlemann, Celestina Widmer und Thubten Jonas Shontshang arbeite, stösst seit Beginn auf grosses Interesse sowohl in der Wissenschaft als auch in der künstlerischen Praxis. Ein Festival hat mich letztes Jahr sogar eingeladen, ein Residency-Programm für behinderte oder chronisch kranke Performer*innen mitzukonzipieren und zu kuratieren.
Transdisziplinäre Zusammenarbeiten zwischen der Wissenschaft und den Künsten interessieren dich. Womit beschäftigt sich dein Forschungsteam im SNF-Projekt «EcoArtLab. Relationale Begegnungen zwischen den Künsten und Klimaforschung»?
Das SNF-Projekt ist im Frühjahr gestartet und wird in enger Zusammenarbeit mit dem mLAB des Geografischen Instituts der Universität Bern durchgeführt. Das interdisziplinäre Team untersucht die Wechselwirkungen zwischen künstlerischer Forschung, Geografie, kritischer Nachhaltigkeitsforschung und Klimatologie, um neue Begegnungen und Denkansätze zur Klimagerechtigkeit zu eröffnen. Dabei ist es das Ziel, Erfolgsskriterien für solche Arbeiten zu entwickeln sowie im Dialog mit der Praxis Impulse für innovative Formen und Ansätze transdisziplinärer Zusammenarbeit zu geben. Nach einem Mapping von Kunst-Klima-Kollaborationen kreieren wir selbst mehrere Modellprojekte. Darin arbeiten Künstler*innen und Wissenschaftler*innen während zwei bis acht Monaten thematisch zusammen. Wir begleiten und evaluieren sie. Unser Ziel ist es, das EcoArtLab sowohl innerhalb der BFH als auch mit externen Partner*innen gemeinsam zu einem transdisziplinären Labor weiterzuentwickeln.
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Nathalie Pernet
Veranstaltungshinweis: Am 29. November 2023 findet um 17.30 Uhr ein «Forschungs-Mittwoch» zum «EcoArtLab» statt. Interessierte sind herzlich eingeladen!