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SINTA-Doktorand Max Frischknecht befragt
01.10.2023 Max ist Designer, Programmierer und Forscher. In seiner Doktorarbeit visualisiert er Kulturarchive – digital. Warum das wichtig ist, erzählt er im Interview.
«Kulturarchive sind nicht neutral, sondern selbst kulturell geprägt.»
Wer an Design denkt, denkt meistens nicht zuerst ans Programmieren – wie hängen diese Disziplinen zusammen?
Programmieren ist eine neue Technologie und das Design hat sich schon immer von neuen Technologien inspirieren lassen. Das sehen wir zum Beispiel im Produktdesign: Mit neuen Verarbeitungsmethoden wurden plötzlich Freischwingerstühle möglich. Code ist die Technologie unserer Zeit, welche nun die Künste beeinflusst. Programmieren ist mittlerweile absolut essenziell. Unsere Welt funktioniert digital. Ich bin überzeugt es hat einen positiven Einfluss, wenn nicht nur Menschen aus der Technologie-Branche mit diesen Tools umgehen können.
Denn, Designer*innen sind es gewohnt, nach menschlichen Bedürfnissen zu fragen: «Wie sitzt ein Mensch? Wie liest ein Mensch?» diese Überlegungen und kritische Distanz tun der Digitalisierung gut.
In deiner Doktorarbeit beschäftigst du dich mit dem Visualisieren von Kulturarchiven – Das musst du mir kurz erklären.
Das Forschungsprojekt ist eine Kooperation zwischen der HKB, den Universitäten Basel und Bern sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde. Die Gesellschaft für Volkskunde führt ein grosses Bildarchiv, in dem sie verschiedene Bestände haben, welche Aspekte der Schweizer Kultur dokumentieren.
Im Forschungsprojekt «Participatory Knowledge Practices in Analog and Digital Image Archives» bauen wir eine digitale Plattform, um Teile dieses Archivs für die breite Öffentlichkeit zugänglich und nutzbar zu machen.
Ich spitze jetzt ein wenig zu: Digitale Kulturarchive visualisieren, das klingt erstmal trocken: Warum ist das spannend, warum ist das wichtig?
Wenn du an ein klassisches Archiv denkst, also an ein Gebäude in der Stadt, mit Registern und Regalen, dann bist du als Laie erst mal ziemlich verloren. Wie willst du ohne Expertenwissen irgendetwas finden? Gleichzeitig ist es eine öffentliche Institution und du solltest darauf Zugriff haben. Uns geht es darum, die Digitalisierung zu nutzen, um diesen Zugang zu vereinfachen.
In meiner Dissertation beschäftige ich mich konkret mit dem Problem, dass Visualisierungen von Daten oft als objektiv erscheinen. Betrachte ich eine Visualisierung, kann ich das Gefühl kriegen, ich «sehe die Wahrheit». Aber gerade bei Kulturarchiven gibt es Löcher, Dinge, die nicht gesammelt werden.
Wenn zum Beispiel mehr Inhalte von Männern dargestellt werden, könnte ich dadurch annehmen, dass Männer viel mehr publiziert haben, obwohl vielleicht Inhalte von Frauen weniger gesammelt wurden. Kulturarchive sind nicht neutral, sondern selbst kulturell geprägt. Wenn du ein Archiv aus den Fünfziger-Jahren visualisierst, hast du auch die Weltsicht aus den Fünfzigern.
Darum versuche ich Formen der Visualisierung zu finden, bei der man das Archiv eher als Perspektive versteht und nicht als Abbildung «der Wahrheit».
«Eine Visualisierung ist immer ein Argument.»
Das klingt jetzt etwas abstrakt, wie sehen da konkrete Gestaltungs-Ansätze aus?
Für den Prototyp, den ich aktuell entwickle, arbeite ich mit «Generativer Gestaltung». Das heisst, wenn ich etwas visualisiere, erarbeite ich nicht nur eine Variante, sondern viele verschiedene. Ich erstelle eine Auslegeordnung und schaue, wie sich die Bedeutung des Dargestellten zwischen den Varianten verschiebt.
Eine Visualisierung ist immer ein Argument. Das ist wie mit Texten – wo man seine Aussage mit Argumenten untermauert, um seine Position zu verdeutlichen. Die Generative Gestaltung ist ein Framework, um diese argumentativen Möglichkeiten auszuloten, um bewusster bei einer Entscheidung zu landen. Gleichzeitig eröffnet dieser Ansatz den Nutzer*innen die Möglichkeit, verschiedene Visualisierungen zu erkunden und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Am Schluss habe ich dann als Nutzer die Wahl zwischen verschiedenen Darstellungen?
Ja, genau. Im Moment arbeite ich an einem Prototyp für den digitalen Atlas der Schweizer Volkskunde. Dabei handelt es sich um über 300 Karten sowie weitere Materialien zu verschiedenen Themen wie Arbeit, Beruf, Aberglaube, oder Religion. Für die digitale Version entwickeln wir verschiedene Zugänge. Du kannst mit der Karte anfangen oder mit den Fragen oder Quellen, die hinter der Karte stecken. Die verschiedenen Zugänge erlauben dir zu verstehen, wie das Wissen welches in den Karten steckt, zustande gekommen ist. Dadurch wird nachvollziehbar, dass das, was in den Karten dargestellt wird, das Produkt eines langen Prozesses ist und nicht etwas, was «objektiv» in der Welt vorhanden ist.
«Als Designer werde ich dadurch eher zum ‹Facilitator›, zum Ermöglicher.»
Du hast schon verschiedene Hochschulen besucht. Deinen Bachelor hast du an der FHNW gemacht, deinen Master an der HKB, warst kürzlich am MIT zu Besuch und nun bist du im Doktorat am Institute of Design Research der HKB sowie in Digital Humanities an der Universität Bern. Wie hast du die HKB in diesem Bouquet an Hochschulen erlebt?
Als ich den Master an der HKB begann, hat sich meine Einstellung zum Design grundlegend verändert. Ich hatte vorher eher eine klassische Einstellung zum Design: Ein Designer entwirft und ist eine Art Künstler, der coole Ideen hat. An der HKB ging es dann plötzlich darum: Okay, du entwickelst etwas, aber welchen Einfluss hat das auf die Gesellschaft? Wenn du etwas für ein Publikum entwirfst, hast du mit diesen Leuten mal gesprochen? Bringt denen das was? Oder basiert deine Idee einfach auf Vorurteilen?
Als Designer werde ich dadurch eher zum «Facilitator», zum Ermöglicher, der mit Menschen zusammenarbeitet und Sachen übersetzt. Jemand, der ein Gespür hat für menschliche Bedürfnisse.
In der heutigen Zeit finde ich das sinnvoller als das traditionelle «Genie-Denken» welches Gestalter:innen als grosse Entwerfer:innen feiert. Dieses kritische Denken stand im Master Design an der HKB zuvorderst im Curriculum und das hat mich überzeugt.
Redaktion: Linus Küng