HKB-Absolventin Erika Do Nascimento befragt

18.07.2023 Erika hat literarisches Schreiben am Literaturinstitut studiert. Schon seit dem Studium schreibt sie an ihrem ersten Roman. Im Interview spricht sie vom Leben als junge Autorin.

Junge Frau mit dunklem gelockten Haar blickt leicht lächelnd direkt in die Kamera, im Hintergrund Pflanzen, ein Bild
Erika in ihrer Wohnung im Zentrum Biels. Bild: HKB / Tina Schück

Ihr Buch ist eine autofiktive Erzählung, mischt Erlebtes mit Erfundenem. Die Geschichte spielt zur Hälfte in Brasilien, wo Erika einen Teil ihrer Kindheit und ihrer Jugend verbrachte. Sie schreibt über Familiendynamiken, Gewalt, Körper und über das Grosswerden in unterschiedlichen Umfeldern. Die Idee für das Projekt entsteht im Studium, in Mentoraten bei Michael Stauffer und Ruth Schweikert nimmt das Projekt Form an. Später begleitet Ivna Žic zehn Monate lang die Arbeit am Text. Jetzt, kurz vor Fertigstellung, arbeitet Erika alleine am Roman. 

«Klar, ich möchte irgendwann vom Schreiben leben.»

Erika, du hast vor zwei Jahren abgeschlossen. Was hast du in der Zwischenzeit getan?

Nach dem Abschluss habe ich als Museumaufsicht gearbeitet, dann ein Praktikum bei den Solothurner Literaturtagen gemacht. Das war spannend, ich durfte beim Planen eines grossen Festivals dabei sein und helfen Veranstaltungen zu organisieren, aber zum Schreiben bin ich nebendran nicht mehr gekommen – das war dann too much.

Dann war ich zwei Monate in Brasilien, für meinen Roman. Dafür habe ich Fördergelder beantragt und erhalten. Ich ging eigentlich hin, um mich wieder einzuleben und zu schreiben. Geschrieben habe ich schlussendlich nicht viel, die Eindrücke habe ich aber mitgenommen und konnte sie später in meinen Text einfliessen lassen. Jetzt arbeite ich zwei Tage in der Woche in einer Buchhandlung und schreibe nebendran.

Im Moment schreibst du also viel: Wie finanzierst du dir das Leben als Autorin?

Mit Fördergeldern (lacht). Nein, während dem Studium hatte ich immer einen Teilzeit-Job. Zusätzlich hatte ich ein Stipendium vom Kanton Zürich. Damit es aufgeht, musste ich aber trotzdem nebenbei arbeiten. Nach dem Studium habe ich dann richtig Gas gegeben mit Fördergeldern: Ich habe bei der Stadt Bern angefragt, bei Biel, bei der Kupper-Stiftung, bei Migros Kulturprozent. Und ich habe überall etwas bekommen. Damit habe ich mir ein Jahr das Schreiben finanziert. Ich hatte Glück. Ansonsten ist die einzige Lösung, nebenbei zu arbeiten.

Ich finde das aber gar nicht so schlimm: Klar, ich möchte irgendwann vom Schreiben leben. Aber in einer Buchhandlung zu arbeiten, finde ich schön. Es hilft mir auch zu wissen, dass ich nicht so viel Zeit habe, um an meinem Roman zu arbeiten. Denn wenn ich zu viel Zeit für etwas habe, bin ich weniger produktiv.

Beim Schreiben bist du sehr fest auf dich selbst angewiesen, musst dich strukturieren können. Wie machst du das, wie findest du Zeit zum Schreiben?

Das musste ich erst lernen! Ich kann das erst seit einem Jahr so wirklich.

Morgens stehe ich auf, meistens um neun, trinke meinen Kaffee, lese zuerst ein wenig und dann kann ich schreiben. Meistens drei bis fünf Stunden am Stück. Wenn ich einen sehr guten Tag habe, dann geht es bis um sechs. Meistens höre ich aber nach drei Stunden auf.
Schon vor dem Studium habe ich viel geschrieben, aber nichts Zusammenhängendes. Ein Text hier, ein Text da: Nur selten habe ich etwas wirklich abgeschlossen. An dem Roman bin ich vier Jahre dran - damit mein Kopf diese Chronologie mitmacht, brauche ich Struktur. Wenn ich nur schon zwei Wochen etwas anderes mache, falle ich raus. Ich brauche diesen Flow, um den Text zusammenzuhalten.

«Die Vergangenheit ist eine Geschichte – nichts mehr ist, was war.»

Was bedeutet das Schreiben für dich?

Bei dem Roman ist es eine Art Therapie. Es ist eine Befreiung von vielem, das ich verdrängt habe. Aber gleichzeitig ist es auch eine Kunstform. Ich spiele gern mit der Sprache, mit den Figuren, mit dem Stil, mit Fiktion. Und natürlich macht es mir auch einfach Spass! Schlussendlich will ich das Buch auch veröffentlichen und mit den Leuten teilen. Es bringt mir auch nichts, wenn ich ein Buch schreibe und dann steht es einfach in meinem Bücherregal herum.

Du schreibst autofiktiv und stellenweise sehr persönlich; hast du nicht Angst, intime Sachen öffentlich zu machen?
 

Diese Angst vor dem Autobiografischen habe ich nicht mehr. Langsam habe ich eine Distanz gewonnen. Diese Hauptfigur, die ist eine andere Person geworden in diesen vielen Jahren. Es passiert so viel – ich verändere mich ja auch ständig. Das ist eine Romanfigur, das bin nicht ich.

Umso mehr du das Zeug liest, umso mehr du es überarbeitest, umso grösser wird die Distanz zu dieser Person, zu diesem Text, zu allem. Darum sage ich auch es ist eine Therapie-Form: Irgendwann ist alles einfach nur noch eine Geschichte.

Die Vergangenheit ist eine Geschichte – nichts mehr ist, was war.

Vielen Dank für das Gespräch.


Erika rechnet damit, den Roman in vier bis sechs Monaten fertigzustellen. Ein Titel ist noch nicht bekannt und einen Verlag sucht sie erst, wenn das letzte Wort geschrieben ist.

Interview und Redaktion: Linus Küng

Blick über Schulter, junge Frau arbeitet an einem ausgedruckten Manuskript mit einem schwarzen Kugelschreiber in der Hand
«Ich schreibe extrem chaotisch» Bild: HKB / Tina Schück
Frau sitzt an einem Tisch in Wohnung, Fliesenboden, lichtgefluteter Raum, Pflanzen
Erika an ihrem Schreib-Ort. Bild: HKB / Tina Schück