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Psychiatrische Akutstationen gemeinsam neu denken

14.03.2025 Architektur und Design beeinflussen Gesundheit und Wohlbefinden. Besonders zum Tragen kommt das auf psychiatrischen Akutstationen. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der BFH untersucht, wie eine partizipative Planung Räume ermöglicht, die negative Erlebnisse für Patient*innen und Mitarbeitende verringern sollen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der BFH will die Architektur und das Design von psychiatrische Akutstationen neu denken.

  • Dabei sind von Anfang an Menschen mit psychischer Krankheitserfahrung involviert.

  • Ziel ist es, einen Prototyp einer Akutstation zu entwickeln.

Durch die zunehmende Verlagerung hin zu ambulanten Dienstleistungen in der Psychiatrie können stationäre Aufenthalte, Zwangsmassnahmen und unfreiwillige Aufnahmen nachweislich reduziert werden. Trotzdem gibt es Situationen, in denen Unterstützung nicht zu Hause oder ambulant angeboten werden kann. Wie können Zwangsmassnahmen und andere negative Erlebnisse im stationären Umfeld verhindert werden? Diese Frage wird in der Forschung noch wenig adressiert. Ein Ansatz ist die Anpassung der physischen Umgebung an die Bedürfnisse der Betroffenen. Eine interprofessionelle Forschungsgruppe der Berner Fachhochschule BFH untersucht, wie Architektur und Design von psychiatrischen Akutstationen neu gedacht und optimiert werden können, um ein genesungsförderndes Umfeld zu schaffen.

Visualisierung eines Raums
Gesundheitsdesign schafft Räume, die Genesung und Wohlbefinden gezielt fördern (Quelle der 3D-Visualisierung: Jente Pauwels und Elke Reitmayer).

Wie Architektur die Gesundheit beeinflusst

Der Zusammenhang zwischen Architektur und Gesundheit wird oft unterschätzt. Elke Reitmayer, Expertin für Architekturpsychologie und Neuroarchitektur, betont: «Die Auswirkungen des Raums auf unser Empfinden sind sehr wichtig. Leider ist die Forschung dazu noch immer eine Nische.» Oft haben kleine architektonische Elemente wie eine verschlossene Tür oder ein verriegeltes Fenster besonders im Kontext einer psychiatrischen Akutstation grosse Auswirkungen und können Aggressionen und Panik hervorrufen. Ein durchdachtes Raumkonzept hingegen kann das Wohlbefinden von Patient*innen und Mitarbeitenden erhöhen. Faktoren wie eine selbstständige Lichtsteuerung, Rückzugsorte oder die Möglichkeit, Fenster zu öffnen, fördern die Selbstbestimmtheit und reduzieren das Konfliktpotenzial. Reitmayer unterstreicht: «Es geht um mehr als angenehme Baumaterialien und beruhigende Farben. Wir überdenken den Grundriss von Gebäuden und wie er auf Menschen wirkt.»

Die Bedeutung von User Involvement

Die Problemzonen einer psychiatrischen Akutstation werden von den Forschenden nicht nur theoretisch identifiziert. Neben Fachpersonen aus den Bereichen Architektur, Design und Pflege sind von Anfang an Menschen mit psychischen Krankheitserfahrungen in das Projekt involviert. Sie überprüfen, ob die Perspektive der Nutzer*innen in das Projekt einfliesst. «Diese Inklusion und Partizipation ist in der Forschung einzigartig», sagt Sabine Rühle Andersson, die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet.

User Involvement: Wertvolles Wissen aus Erfahrung

User Involvement oder der Einbezug von Betroffenen in Forschungsprojekte gewinnt bei der BFH seit Jahren an Bedeutung. «Als praxisnahe Hochschule legen wir Wert darauf, die Anliegen und Erfahrungen von Betroffenen zu berücksichtigen», betont Carolin Fischer, Leiterin des Themenfeldes Caring Society. Ergänzend zu den akademischen Fachleuten könnten Betroffene als Expert*innen aus Erfahrung eine ganz andere, aber ebenso wichtige Sichtweise auf einen Sachverhalt einbringen. «Diese Menschen haben ein Vorgehen oder eine Massnahme am eigenen Leib erfahren, weshalb sie die Auswirkungen am unmittelbarsten beurteilen können.»

Für Carolin Fischer ist der Einbezug Betroffener immer auch eine Wertschätzung ihres Wissens, das sie sich durch die Erfahrung angeeignet haben. Und ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor für ein Forschungsprojekt: «Wenn dank einer Studie Einrichtungen und Anwendungen benutzerfreundlicher werden, gewinnt dadurch die gesamte Gesellschaft.» Durch User Involvement liessen sich unter Umständen auch Behandlungserfolge und die Zufriedenheit von Patient*innen steigern.

Der positiven Effekte zum Trotz ist User Involvement kein Allerweltsmittel, wie Carolin Fischer zu bedenken gibt. Während Betroffene in der Lage seien, in der angewandten Forschung, etwa bei der Gestaltung von Spitalräumen oder der Aufstellung von Therapieplänen, ihre Erfahrung einzubringen, treffe dies bei der Grundlagenforschung, zum Beispiel in der Molekularbiologie, selten zu.

Das Forschungsteam führt Interviews mit Nutzer*innen und Mitarbeitenden in psychiatrischen Kliniken durch, analysiert bestehende Strukturen und will daraus Konzepte für die Architektur erstellen. In einem ersten Workshop wurde deutlich, wie essenziell eine angenehme Umgebung für die Nutzer*innen ist. Sie äusserten den Wunsch nach hellen, freundlichen Räumen, die Vertrauen schaffen, sowie nach Materialien und Düften, die nicht an ein Krankenhaus erinnern. Zudem wurde klar: Wenn Betroffene wissen, dass Peers an der Gestaltung der Station mitgearbeitet haben oder als Peers auf den Stationen arbeiten, erhöht dies das Vertrauen und somit die Bereitschaft, sich in einer akuten Krise stationär behandeln zu lassen. «Co-Produktion und Partizipation sind essenziell für die Akzeptanz und Wirksamkeit neuer Konzepte», sagt Sabine Rühle Andersson, «der Einbezug von Peers schafft Vertrauen.»

Partizipativer Prozess als Ergebnis

Das Forschungsteam erhofft sich Hinweise auf Chancen und Herausforderungen von Partizipation und User Involvement in der Forschung. Das vorläufige Ziel des Projekts ist nicht die Entwicklung fixfertiger architektonischer Lösungen. «Wir wollen zunächst einen Prozess entwickeln, der eine partizipative Planung einer psychiatrischen Akutstation ermöglicht», erläutert Elke Reitmayer. Das soll Entscheidungsträger*innen helfen, bauliche Veränderungen vorzunehmen, die Patient*innen und Mitarbeitenden effektiv nützen. Dieser Prozess soll exemplarisch in Zusammenarbeit mit dem Swiss Center for Design and Health SCDH in Form eines Prototyps entwickelt und erprobt werden.

Neue Wege im Gesundheitswesen

Das Schweizer Gesundheitssystem steht vor Herausforderungen, die mutige neue Wege erfordern. In einer Reihe von Beiträgen präsentieren wir Forschungsprojekte der Berner Fachhochschule, die praxisorientierte Lösungen entwickeln – von innovativen Versorgungsmodellen über digitale Assistenzsysteme bis hin zu nachhaltigen Finanzierungsansätzen.

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