Köpfe der Forschung: Hanna B. Hölling

09.09.2024 Hanna B. Hölling forscht am Institut Materialität in Kunst und Kultur. Im Interview spricht die Kunstwissenschaftlerin und Konservatorin über Materialität und Erhalt von Kunst und Medienkunst.

Portrait von Hanna B. Hölling. Sie ist in der Mitte des Bildes vor einem Bücherregal mit verschiedenfarbigen Büchern drin. Sie trägt die braunen Haare nach hinten gebunden, eine Brille und eine weisse Bluse.

Hanna B. Hölling ist Kunstwissenschaftlerin und Konservatorin. An der HKB koordiniert sie das Forschungsfeld Contemporary Art and Media am Institut Materialität in Kunst und Kultur. Auch leitet sie die beiden SNF-Projekte «Activating Fluxus» und «Performance: Conservation, Materiality, Knowledge». Hanna B. Hölling promovierte an der Universität Amsterdam an der geisteswissenschaftlichen Fakultät mit «Re:Paik: On Time, Changeability and Identity in the Conservation of Multimedia Installations».

Als Forscherin zieht es mich stets dorthin, wo ich das Potential einer kritischen Auseinandersetzung mit Ideen sehe.

Hanna B. Hölling

Hanna B. Hölling, du kamst im Jahr 2018 an die HKB als Forschungsprofessorin. Damals hattest du in London gelebt und am University College London UCL unterrichtet, was du auch heute noch als Honorary Fellow tust. Weshalb hast du dich für die Schweiz entschieden?

Die Schweiz ist ein hervorragender Ort für die Entfaltung eigener und kollaborativer Forschung durch die vielfältigen Fördermöglichkeiten, die insbesondere der Schweizerische Nationalfonds anbietet. Ich fühle mich hier in vielerlei Hinsicht zuhause; auch dank meinem Partner und meinem Sohn, mit denen ich in Zürich lebe. Ich bin gebürtige Polin, habe jedoch einen Teil meines Studiums sowie meine beruflichen und akademischen Jahre in Deutschland oder anderswo verbracht. Zunächst führte mich mein Weg vom ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, wo ich als Chefkonservatorin tätig war, nach Amsterdam, um dort meinen PhD zu absolvieren. Meine erste Professur war am Bard Graduate Center in New York, dann kehrte ich via Max-Planck-Institut in Berlin wieder nach Europa zurück und nahm eine zweite am UCL bis 2022 wahr. 

Als Forscherin zieht es mich stets dorthin, wo ich das Potential einer kritischen Auseinandersetzung mit Ideen sehe. An der HKB ist dies möglich: Ich kann meine Forschungsvorhaben umsetzen, sie mit internationalem Publikum evaluieren und Teams in diesen Bereichen aufbauen. Dafür bin ich sehr dankbar.

In deiner Forschung beschäftigst du dich mit der Materialität und dem Erhalt der Kunst, inbesondere der zeitgenössischen und der Medien-Kunst. Welche Fragen stehen dabei im Fokus? 

Materialität ist allgegenwärtig, doch oft ist die Auseinandersetzung mit ihr recht abstrakt. Ich sehe das Material als physische, chemische, soziale und politische Substanz, die ständig einer Transformation ausgesetzt ist. Als Konservatorin und Kunstwissenschaftlerin sind mir die materiellen, sozialen, politischen und ökonomischen Dimensionen des künstlerischen Schaffens, physischen Überdauerns und der Erhaltung wichtig. Die für mich zentrale Frage ist, wie sich ein Werk – ob zeitgenössisch oder historisch – im Laufe seines Lebens physisch und konzeptuell verändert. Auch beeinflussen die Konzepte der Zeit (z. B. Dauerhaftigkeit versus Flüchtigkeit), des Archivs und der Konservierung unser Verständnis davon, was ein Werk ist und wie es sein kann. Damit verändert sich ebenfalls die Konservierung, denn sie wird geprägt durch das sich stetig wandelnde Werk sowie durch die grossen Paradigmenwechsel unserer Zeit, wie etwa Postkolonialismus oder Umweltthemen. 

Seit Kurzem beschäftigen mich zudem die Begriffe «Care» und «Natureculture» sowie deren spartenübergreifender Einsatz, z. B. in der Konservierung kultureller und natürlicher Umgebungen. Dabei untersuche ich, wie wir den gegenwärtigen Krisen, wie den Klima- und humanitären Krisen, gegenüberstehen: Wie soll und muss sich in diesem Zusammenhang die Aktivität und Konzeption der Erhaltung und Konservierung verändern? Diesen Fragen widme ich mich im Januar 2025 in Rahmen eines internationalen Workshops an der BFH. 

Eines deiner Forschungsprojekte, das sich damit befasst, ob Performance-Kunst erhalten werden kann und wenn ja, wie, findet nach vier Jahren demnächst seinen Abschluss. Hierfür plant ihr vom 14. bis 29. September 2024 ein Festival und eine Ausstellung. Erzähl uns mehr darüber.

«Conserving Performance, Performing Conservation» ist ein Festival und eine Ausstellung, die sich durch kollaborative und partizipative Formate den Themen der Wissensübertragung, dem Archiv und der Dokumentation widmen. An fünf Austragungsorten – Tanzhaus Zürich, Aargauer Kunsthaus, Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne, Association pour la Danse Contemporaine (ADC) Genf und Dampfzentrale Bern – werden wir von lokalen und internationalen Gästen hören, wie Performance weiterlebt; nicht nur im Moment, sondern auch durch Körper, Geschichten, Objekte, Skripte und Sammlungen performativer Kunst. So schreiben wir Briefe an Tanz und Performance und kartieren sie visuell. Wir fragen Künstlerinnen mit Behinderungen nach Erhaltungsmöglichkeiten der Performance und «Care»-Herausforderungen. Wir untersuchen, wie das «lebendige Erbe» Performance tradiert, wie Reenactment und künstlerische Interpretation ein Mittel ihres Weiterlebens sein können und wie das Wissen über Performance auch über Generationen hinweg weitergegeben wird. Zudem widmet sich die begleitende Ausstellung an der HKB einem sogenannten «Reverse-Engineering» von Performance, das die Konservierung als aktive und kreative (und nicht reaktive) Kraft interpretiert.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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