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HKB-Studentin Gemma Ragués Pujol befragt
22.08.2022 Die Komponistin aus Barcelona beginnt nun das zweite Jahr Contemporary Arts Practice und spricht im Interview über die HKB und über die Entstehung ihres Stücks für die Biennale Musica 2022.
Die 29-jährige Katalanin hat im Herbst 2021 mit ihrem zweiten Master an der HKB begonnen: Nach dem Master in Music Composition – Creative Practice wollte Gemma Ragués Pujol die Kunst des Schreibens vertiefen, um Text als Hauptelement in ihre Stücke zu integrieren. Deshalb hat sie sich für den Master in Contemporary Arts Practice CAP entschieden, in dem Schreiben einen festen Platz hat. Im September startet die Komponistin also das zweite CAP-Jahr und zeigt zeitgleich an der Biennale Musica 2022 in Venedig ein eigenes Projekt.
Wie bist du zu einer Einladung an die Biennale Musica gekommen und was wirst du zeigen?
Es gibt die «Biennale College», die junge Künstler*innen verschiedener Kunstrichtungen unterstützt. Man kann sich bewerben, wenn man zwischen 18 und 30 Jahre alt ist. Ich habe mich für die «Biennale College Musica» beworben und bin aufgenommen worden.
Eigentlich hätte es nur ein Radio-Projekt werden sollen, für das man die im Vorfeld gemachten Aufnahmen mitbringt. Als ich jedoch im Frühjahr 2022 vor Ort war, war ich vom Palast Ca’Giustinian, in dem ich mein Stück spielen werde, begeistert. Ich habe mich erkundigt, ob ich die Räumlichkeiten nutzen und auch für das Live-Publikum vor Ort performen dürfe. Und ich darf! Ich trage mein Stück also für das Publikum in Venedig live vor und gleichzeitig wird es live im Radio übertragen.
Mit «La Verità a Venezia» werde ich eine Art Komödie zeigen, für die ich das Skript, die Musik und die Elektronik geschrieben sowie das Bühnenbild gemacht habe. Ich spiele auch alle Figuren selber. Es ist wirklich eine «one woman show»! Heute denke ich, dass dies vielleicht etwas zu ambitiös war… In meinem Stück geht es um Klänge, die Menschen in Venedig lieben und Klänge, die sie hassen. Bei meinem Besuch in der Stadt bin ich durch die Strassen gegangen und habe Geräusche aufgenommen. Ich habe mich mit italienischen Passant*innen über Geräusche und Musik unterhalten und auch diese Gespräche aufgenommen. Ich wollte die Ecken und Geräusche der Stadt und die Stimmung der Menschen kennenlernen ohne Klischees zu verfallen. Ich wollte offenbleiben und sehen, was mir die Stadt zu bieten hat und ihr mein Material nicht zu früh aufdrücken. Zum Beispiel haben mir viele gesagt, sie würden den Lärm von nachts durch die Strassen gezogenen Koffern hassen. Und so habe ich dieses Geräusch richtig lästig gemacht – oder aber genau das Gegenteil. Auf alle Fälle bringe ich es in den Vordergrund, um die Meinung der Menschen zu offenbaren. Erst später habe ich das Ganze mit meiner Fiktion verbunden. Es wird eine Mischung werden zwischen Live-Stimme und den Aufnahmen. Die Hauptsprache wird Englisch sein, aber es gibt Teile auf Italienisch und wenig Katalanisch und Spanisch, um mehr Farbe zu geben. Es wird eine Herausforderung, dem Publikum am Radio Rai3 und gleichzeitig dem Publikum vor Ort gerecht zu werden.
Was hat dich dazu bewegt, an der HKB zu studieren?
Nach dem Bachelor in Komposition, den ich in Barcelona gemacht habe, wollte ich anschliessend gern etwas Auslandserfahrung sammeln. Es ist immer gut, Inspiration aus einer anderen Ecke der Welt zu holen. So kam ich in die Schweiz für den Master in Music Composition – Creative Practice mit Xavier Dayer, Simon Steen-Andersen und Gilbert Nouno.
Ich habe verschiedene Orte angeschaut und bei der HKB hatte ich den Eindruck, sie sei aufgeschlossen und dass ich dort frei sein würde. Das hat sich bestätigt. Es gab niemanden, der meine Stücke kategorisiert, eingeschränkt oder herabgemindert hat. Lehrpersonen und Kolleg*innen waren immer ermutigend, nie limitierend. Das ist so wichtig, wenn man sich selbst noch entdeckt.
Ich muss zugeben, dass es mir am Anfang schwergefallen ist, mich in diesem grossen Universum HKB zurechtzufinden: Diese Auswahl an Themen und Dozent*innen kann gerade in der Findungsphase etwas überfordernd sein. Kaum hatte ich mich eingelebt, kam der Lockdown. Die Einschränkungen waren eine grosse Herausforderung, denn in der Musik geht es um das Teilen, Treffen und Austauschen mit anderen.
Welches ist dein wichtigstes Learning aus deiner bisherigen HKB-Zeit und was ist dein Traum oder dein Ziel?
Ich habe gelernt, dass Komposition alles sein kann – alle Formen und Materialien sind möglich. Man ist frei und darf die Elemente wählen, die am besten zum Projekt passen. Dann kann man sie in der Timeline auf die beste Art arrangieren. Zu Beginn ist diese Unendlichkeit an Möglichkeiten schwierig, aber sobald man mit Komponieren angefangen hat, sind es plötzlich weniger Elemente und es werden immer weniger. Diese muss man auf kluge Art und Weise einsetzen.
Während des Masters Music Composition habe ich im Musiktheaterstück «A-Ronne» von Berio gespielt und dabei viel Spass gehabt. Ich habe das Vergnügen, auf der Bühne zu stehen, wiederentdeckt. Nach vielen Jahren des Schreibens für andere habe ich ausserdem die Freude entdeckt, auch für mich selbst zu komponieren. Ich habe schon immer gerne Geschichten erzählt. Das mit Musik zu kombinieren, finde ich toll. Der interdisziplinäre Ansatz des Masterstudiengangs CAP, der mir unter anderem Seminare in Literarischem Schreiben ermöglicht, passt entsprechend gut zu mir.
Es ist wirklich keine Selbstverständlichkeit von der Kunst leben zu können. Man setzt sich mit Leib und Seele für ein Projekt ein! Dass dieser Einsatz entsprechend entlöhnt wird, dass ich davon leben kann, das wünsche ich mir für die Zukunft. Und wenn nicht, schauen wir weiter…
Das Gespräch führte Ursina Orecchio.