- Medienmitteilung
Aus Dienstleistung wird Lebensstil: Schweizer Grafik im Wandel
01.12.2023 Das Forschungsprojekt «The Cultural Turn in Swiss Graphic Design 1980–2020» untersucht das Aufkommen und die Entwicklung eines Phänomens, das als «Kulturgrafikdesign» bekannt wurde.
Schweizer Grafik-Design ist international bekannt für den «Swiss Style» der 50er- und 60er-Jahre. Der Stil wie auch das Berufsbild haben sich in den vergangenen 40 Jahren aber stark verändert. Ein Team der Hochschule der Künste Bern HKB und der École cantonale d'art de Lausanne ECAL untersucht dies im vom Schweizerischen Nationalfonds SNF geförderten Forschungsprojekt «The Cultural Turn in Swiss Graphic Design 1980–2020».
Zu Beginn der Erfolgsstory war Schweizer Grafikdesign vor allem Dienstleistung für Industrie und Wirtschaft. Bis in die 70er-Jahre standen Auftragserfüllung, maximale Rendite und Expansion im Vordergrund. Im Zuge der Jugendunruhen der 80er-Jahre fand jedoch auch in der Grafikbranche ein Wandel statt. Die Etablierung von alternativen Kulturorten brachte neue Wirkungsmöglichkeiten für Grafiker*innen mit sich. Die dort herrschenden Werte wie Selbstbestimmung und Kreativität wurden Teil eines neuen Berufsverständnisses und Lebensgefühls einer neuen kreativen Bewegung.
Der Grafiker Roli Fischbacher war Teil dieser Bewegung und ist in den 80er-Jahren für die Plakate und die Zeitung der Roten Fabrik in Zürich bekannt geworden. «Wir haben uns damals die Jobs einfach selbst geschaffen. Wir sind zur Roten Fabrik und haben vorgeschlagen, eine Zeitung zu machen – die Fabrikzeitung existiert bis heute. Ich habe in der Grafik eigentlich mein Leben lang immer nur das gemacht, was ich wollte.» sagt Fischbacher.
Diese neue Ausrichtung der Branche blieb nicht unbeobachtet und wurde in den 90er-Jahren in Artikeln und Büchern fleissig diskutiert. Martin Heller, damals Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, kritisierte beispielsweise 1993 in einem Artikel im Hochparterre den damaligen Status des Schweizer Grafikdesigns. Er schreibt: «Das Berufsbild schliesslich siedelt im Dienstleistungssektor und zehrt vom Kunstbonus. Seit jeher hielt der Beruf des Grafikers eine bürgerlich legitimierte Sonderform des Bohemien bereit.» Er begrüsst die neue Bewegung und schreibt dazu «Eine ganze Reihe jüngerer Schweizer Gestalterinnen und Gestalter hat es in den letzten 10, 15 Jahren geschafft, eigene Ausdrucksformen zu entwickeln (…) Die Gestalter der neuen Generation definieren sich weniger als Dienstleister oder Erzieher, denn als grafische Autoren.» Die Kulturbotschaft 2016 bis 2020 markiert den Höhenpunkt dieses Wandels, worin Designförderung erstmals in den Aufgabenbereich des Bundes aufgenommen wurde. Design war nun also definitiv in der Kultur angekommen.
Diese Wendung der Designschaffenden als unabhängige Autor*innen – raus aus den Agenturen, rein in die Ateliers – hatte aber auch ihre Kehrseite: Die Selbstverwirklichung führte in vielen Fällen zu neoliberaler Selbstausbeutung. Der Aufwand, sich als Autorendesigner*in zu positionieren, hielt nur selten die Waage mit der Entlöhnung. Und dies in einem Sektor, wo das Geld ohnehin nicht im Übermass vorhanden war. «Dieser neue Typus Designer*in muss sich noch heute mit Brotjobs oder Lehre über Wasser halten, um das eigene Schaffen finanzieren zu können», sagt HKB Co-Projektleiter der Studie Robert Lzicar.
Das Forschungsprojekt «The Cultural Turn in Swiss Graphic Design 1980–2020» untersucht das Aufkommen und die Entwicklung dieses Phänomens, das als «Kulturgrafikdesign» bekannt wurde. Erste Erkenntnisse werden am 1. Dezember 2023 an der HKB im Rahmen des Research Exchange Day «For the Sake of Creative Freedom: Graphic Design for the Cultural Sector», neben Beiträgen von internationalen Speakers zur Diskussion gestellt.
Medienvertreter*innen sind herzlich willkommen und können sich bei Robert Lzicar (Kontakt siehe unten) anmelden.
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Rubrik: Forschung